Ich laufe eine schier endlose Straße entlang. Laufen und Straße passt hier nicht zusammen ist das Erste, was einem Indonesier oder Indonesien-Experten als Erstes auffallen würde. Auf den hiesigen Straßen hat der fahrende Verkehr die Macht. Scooterfahrer entscheiden über Glück und Leid – Vorzeigefahrer vs. der absolute Verkehrsschreck.
Wer laufen will, oder den hiesigen Umständen entsprechend „laufen muss“, (laufen ist hier gleichgesetzt mit keinen Scooter haben und das geht mal gar nicht) der sollte sich in Acht nehmen. Gehwege sind hier allenthalben dazu da, um die Straße zu begrenzen. Für Fußgänger hingegen können sie ein Ort des Schreckens sein.
Vollgestellt sind sie meist – die dünnen Streifen neben der Fahrbahn.
Streetfood-Stände, Ölkanister, Schubkarren mit angerührtem Baustoff, Massageliegen und Hühnerkäfige können dem Passanten schon mal in die Quere kommen. Ausweichen kann zur Gefahr werden, denn dann steht man – welche Überraschung – erneut mitten im Verkehr. Scooterfahrer fühlen sich frei alles zu nutzen, was Straße ist.
Wenn es nur der rollende Verkehr wäre, hätte man schon mal einen Grund weniger sich zu beklagen. Hindernisse anderer Natur erschweren ebenso das Fortkommen. Hat man einen Gehweg mal für sich, etwa weil hohe Bordsteine ihn von der Straße trennen, lauern Schlaglöcher, spitze Stahlreste, Opfergaben in Körbchen, Sandhügel, oder wirr parkende Scooter. Dinge, die nicht da hingehören, auf denen andere laufen.
Da kann man nur einen Rat geben: Augen auf beim Gehen.
Eine Straße zu überqueren gleicht einer Mutprobe. Ein Freund, der einen an der Hand hält, ist eine echte Hilfe. Was mein schusseliges Verkehrsverhalten betrifft, eine Notwendigkeit.
Wir müssen irgendwann abbiegen, sagt mein Freund. Wir sind auf dem Weg zu einem Scooter-Verleih. Ja, ganz richtig. Wir müssen uns eingestehen, dass die Indonesier Recht hatten. Ohne Scooter geht hier gar nichts. Einen Monat wollen wir uns innerhalb Balis bewegen und auch den Verkehr nicht scheuen. Die einzige Fortbewegungsmöglichkeit fernab Scooter und Autos – wobei diese nur zusammen mit einem Fahrer gebucht werden können, aufgrund der zu hohen Unfallgefahr – sind Tourbusse und Taxis. Beides ist für meinen Freund und mich keine Option.
5 Gründe, warum ein Scooter auf Bali von Vorteil ist
1. Das Mieten eines Scooters ist viel günstiger als eine bezahlte Tour.
2. Mit einem Scooter sind wir freier und flexibler in der Planung unserer Unternehmungen.
3. Man kann auf eine individuelle Art und Weise in die Kultur eintauchen, indem man spontan in Seitenstraßen abbiegt und versteckte Orte erkundet.
4. Eine Scooterfahrt erfrischt und kühlt in der Hitze Balis.
5. Einen Scooter kann man bequem überall abstellen, ohne sich Sorgen zu machen, keine Parklücke zu finden.
Die tropische Luftfeuchtigkeit macht uns schlapp. Wir kommen an einem Fluss vorbei, der voll ist mit Müll. Es scheint, als ob hier die Kanalisation der Stadt liegt. Trotzdem sehen wir einen Mann, der Fische fängt.
Nach einer Stunde kommen wir schweißgebadet und mit roten Gesichtern in Kuta an. Wir beschließen, in einem Schnellrestaurant etwas Kühles zu trinken. Außerdem vereinbaren wir mit dem Typen vom Scooter-Verleih uns hier zu treffen.
Es fängt an zu regnen. Nicht stark. Der Monsun hält Einzug. Ich frage meinen Freund, ob er auch bei starken Regenfällen fahren kann. Er nickt. Ich hoffe, uns passiert nichts. Mich selbst würde ich nicht mit dem Ding auf die Straße loslassen. Der rollende Verkehr scheint seine eigenen Regeln zu haben, die man erst einmal studieren muss. Mein Freund fürchtet sich nicht vor der Herausforderung. Ich stehe der Sache etwas ängstlicher gegenüber.
Der Typ vom Verleih kommt auf uns zu. Er ist ein guter Freund unseres indonesischen Freundes bei dem wir couchsurfen. Wir bekommen den Scooter für einen guten Preis. Er verlangt auch nicht, den Führerschein zu sehen. Mein Freund hat extra einen internationalen Führerschein gekauft – die Erlaubnis jedoch wurde ihm nur für das Leihen von Autos erteilt, nicht für Scooter aufgrund der zu hohen Unfallzahl in der Vergangenheit, die von Touristen ausgeht. Macht aber nichts!
Der Deal ist über den Tisch gegangen. Wir bekommen die Schlüssel und zwei Helme. Wir müssen keine Papiere unterzeichnen. Der Deal wird per Handschlag auf Grundlage von gegenseitigem Vertrauen besiegelt. Er sagt, dass er es „so easy und unkompliziert“ nur für Freunde von Freunden handhabt.
Wir steigen auf den Honda-Scooter. Er hat eine pinke Haube. Mein Helm sitzt etwas locker, doch besser als kein Helm.
Ich sitze hinten. Meine Arme umschlingen die Hüfte meines Freunds. Der Typ hat einen Regen-Poncho im Staufach unter dem Sitz zurückgelassen. Ich lege ihn um. Der Regen, der wenig später einsetzt, weiht ihn ein. Wir haben keine Ahnung, wo wir hinfahren. Das macht auch nichts. Wir fahren uns warm und nicht etwa, weil uns kalt ist.
Der Verkehr ist zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Zumutung. Wir gehören ab jetzt dazu. Zu den Königen der Straße.
Hemmo passt sich den ungestümen Manövern schnell an.
Er scheut nicht davor zurück, es den Indonesiern nachzumachen.
Dicht aufzufahren. Spiegel an Spiegel an Autos vorbeizudüsen.
Sich in den Verkehr spielerisch einzufügen.
Linksverkehr scheint zumindest für meinen Freund kein Problem darzustellen. Ich bin erleichtert, dass wir einen so unbeschwerten Flow in der Masse haben. Abgesehen von einem Touristen, der uns schneidet, liegt uns die Straße zu Füßen. Apropos, Touristen auf Scootern – diese sind mindestens genauso gefährlich wie unausgeschilderte Schlaglöcher, wenn nicht sogar mehr. Wegen solcher Typen werden keine internationalen Führerscheine für Scooter mehr ausgestellt.
Straßenschilder, die die Richtung weisen, sind hier rar. Seitenstraßen erkennt man erst als Seitenstraßen, wenn es zu spät ist. Der Dreck vom Asphalt setzt sich überall ab – auf dem Scooter, dem Helm, den Kleidern, der Haut. Nur was bedeckt ist, bleibt sauber. Motorölgeruch hängt in der Luft. Er vermischt sich mit dem Geruch von angebratenem Öl, der von den Straßenmärkten herüberweht.
Huhn, Ente, Rind, Fisch.
Gebraten. Gekocht. Gegart. Gegrillt. Frittiert.
Der Geruch ist ein Allerlei von allem, was die asiatische Küche so in den Topf, auf die Pfanne und auf den Grill wirft.
Wir fahren durch den Smog.
Wir fahren durch den Regen.
Wir werden nass.
Wir werden trocken.
Ich merke erst jetzt, dass meine Arme und Knie verbrannt sind.
Bin ich hier überhaupt richtig, frage ich mich?
Habe ich mir Bali so vorgestellt?
Und dann passiert es! Ich beginne zu begreifen.
Ich atme ein. Ich atme aus.
Der Fahrtwind kühlt und tut gut.
Ich nehme mir Zeit, um herunterzukommen. Vom Verkehr. Von der Hitze. Vom Lärm.
In dem Moment, als ich alles Negative ausblende, beginne ich die Schönheit um mich herum wahrzunehmen. Ich beginne zu realisieren, dass ich HIER bin.
In Bali.
Im Paradies.
Ich lasse meine Augen auf- und abwandern.
Reisplantagen in den allergrünsten Farben.
Beeindruckende Tempelbauten, vor deren Eingänge Frauen Opfergaben niederlegen.
Ein Vulkan, über dem ein Ring aus Wolken hängt.
Schwindelerregende Dschungelschluchten.
Kristallklare Wasserfälle.
Meterhohe Kokosnusspalmen.
Das ist die andere Erfahrung, die man vom Rücksitz eines Scooters macht.
An all diesen faszinierenden Schauplätzen vorbeizurollen – den Kopf und das Herz mit Eindrücken und Gefühlen anzureichern – ist den lärmenden Verkehr, die urplötzlichen Regenfälle und Temperaturen, bei denen man Spiegeleier auf der Motorhaube braten kann, vollumfänglich wert.