Wie balinesische Hindus die Geburt und Entwicklung eines neuen Familenmitglieds zelebrieren
Religion hat in Bali einen festen Wert in der Gesellschaft. Auf keiner Insel der Welt kommen so viele Religionen zusammen wie in Indonesien.
Alle Weltreligionen sind vertreten – mal mehr, mal weniger: Christen, Hinduisten, Buddhisten und Muslime kommen täglich in Kirchen, Tempeln und Moscheen zusammen.
Raum zum Beten und Meditieren findet man in Bali überall. Gebete und Rituale werden schon in aller Frühe begangen. Wer neben einem Tempel oder einer Moschee wohnt, braucht keinen Wecker. Während „das Gedudel“ dem einen Langschläfer auf die Nerven gehen kann, kann es für den Anderen eine wahre Bereicherung sein. Manchmal schleichen sich schön klingende Sequenzen in diese Gebetslieder, die einem das Aufstehen erleichtern.
Um 5 Uhr erklingt Korangesang. Eine Stunde später wechseln hinduistische und buddhistische Gebetsfolgen sich ab, die aus den Tempel-Lautsprechern flächendeckend erschallen. Eine wahre religiöse Multi-Kulti-Parade. Bali’s Volk schläft nicht viel. An erster Stelle stehen das Gebet und die Vorbereitung der Opfergaben. Im Laufe des Tages wird es zwar ruhiger, doch die Lobpreisung der Götter wird zu bestimmten Zeiten immer wieder erneuert, sodass der Gebetsfluss den Alltag der Menschen vom Sonnenauf- bis zum Untergang begleitet.
Für besondere Religionsanhänger wie Hinduisten – die größte Religion in Bali – ist fast jeder Tag ein heiliger Tag. Man begegnet Frauen in traditionellen Gewändern, die Früchte und Beigaben für die Opferzeremonien auf ihren Köpfen zu den Tempeln balancieren. Räucherstäbchen-Aromen wabern in der Luft.
Die Opfergaben sind nirgendwo zu übersehen. Sie werden an den ungewöhnlichsten und oftmals unpassendsten Orten abgelegt: vor Hauseingängen, vor Geschäften, oder mitten auf der Straße und das trotz dickstem Verkehr. Und doch tritt keiner auf sie, oder wälzt sie mit dem Scooter platt. Sie werden geschickt umgangen und umfahren, weil sie eben so heilig sind und von allen Bewohnern geschätzt werden.
Deshalb hier mein Rat an alle, die das erste Mal in Bali sind: Augen auf beim Gehen und im Verkehr! Auf eine Opfergabe zu treten, wird als Beleidigung der Götter aufgefasst (selbst von unwissenden Touristen).
In den aus Palmblättern geflochtenen Körbchen befinden sich Blumen, Früchte, Kekse, Bonbons, Münzen und Räucherstäbchen. Sie werden den Göttern in den Tempeln als Zeichen des Glaubens und der Verbundenheit dargebracht. Nach einem Gebet und mehreren Ritualen gelten die Opfergaben als gesegnet und können mit nach Hause genommen werden, um sie mit der Familie zu teilen. Beim Prozess der Opferung wird den Gaben die Essenz, Sari, durch die Götter entzogen. Ein Teil hingegen wird zurückgegeben und darf von den Menschen in Form der gesegneten Kekse oder der Früchte verzehrt werden.
Die süßen Leckereien ziehen nicht nur den Gaumen, sondern zuweilen auch die Affen des Monkey Forest in Ubud an. Da Affen im Hinduismus Gottheiten sind, wird das nicht so streng gesehen, wenn sie sich wie Meisterdiebe über die Opfergaben hermachen. Immer wieder eine Unterhaltung wert!
Hinduisten sind Weltmeister im Feiern. Für jede Lebensphase – von der Geburt bis zum Tod – gibt es eine Zeremonie, um die neue Entwicklungsstufe des Menschen angemessen zu würdigen. Die meisten Zeremonien kreisen um das Thema Schwangerschaft und Geburt.
8 Zeremonien muss ein Neugeborenes durchlaufen, bis es in die Hindu-Gemeinschaft aufgenommen wird
Der Tempel ist bei diesen Zeremonien der Ort des Empfangs und der Begegnung – gleichermaßen der Begegnung mit den Göttern, als auch den Menschen aus der Familie, dem Freundeskreis oder der Tempelgemeinschaft. Im Hindu-Glauben gibt es verschiedene Tempel, die für verschiedene Zwecke und Zeremonien genutzt werden. Bali, als Insel der 1000 Tempel hat jene besagten Gotteshäuser in jedem Bezirk, jedem Dorf und jeder Hausgemeinschaft. Manchmal hat auch ein einzelnes Haus einen eigenen Tempel. Der typische Fall jedoch sind Dorf- und Familientempel, die mit mehreren engen Mitgliedern geteilt werden. Tägliche Gebete und zyklische Zeremonien werden dort abgehalten.
Die 8 wichtigsten Hindu-Ritual-Zyklen bei einem Baby
1. Gedong-Gedongan
Im achten Schwangerschaftsmonat steigen die werdenden Eltern in einen Fluss. Das Ritual, bei dem kleine Aale und Fische – mit den Kopf nach unten gerichtet – auf den Bauch der Mutter gelegt werden, verspricht eine leichte Geburt. Sie sollen dem Baby den Weg aus dem Leib der Mutter weisen.
2. Die Geburt
Die Plazenta wird nach der Geburt verbrannt. Je nach Geschlecht wird eine andere Vorgehensweise bei der Verbrennung gehandhabt: Bei einem Jungen wird die Plazenta auf der rechten Seite des nördlichen Tempelpavillons verbrannt. Im Norden befindet sich der Sitz der hinduistischen Gottheiten. Bei einem Mädchen wird die Verbrennung wird auf der linken Seite vollzogen.
In das Feuer werden weiterhin Attribute hinzugegeben wie ein Stift, ein Pinsel, ein Buch oder ein Fächer. Talente, die man den Kindern auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden mitgeben möchte.
Den Eltern ist es nicht gestattet, die Küche für drei Tage zu betreten.
3. 3 Tage nach der Geburt-Zeremonie
In einem Reinigungsritual wird den Eltern die Erlaubnis zurückgegeben, die Küche wieder zu betreten.
4. Rorasin
Nach 12 Tagen der Geburt fällt die Nabelschnur ab. Diese wird in einem Schrein bewahrt, zu Ehren von Kumara, den Hüter aller Neugeborenen.
5. 42-Tage-nach der Geburt-Zeremonie
Diese Zeremonie ist die Festlichste und Höchste für das Neugeborene und seine Eltern. Wir durften hautnah dabei sein.
Freunde von unserem Couchsurfing-host haben eine hinduistische Baby-Zeremonie veranstaltet und uns eingeladen dem Ehrentag beizuwohnen. Die Zeremonie dient als Schutz. Das Baby hat sich bis hierhin gut entwickelt und man möchte diese Entwicklung schützen und sie vorantreiben. In der Stirnmitte – über der Nase – liegt das dritte Auge, die Seele des Menschen. Reiskörner werden auf dieser Stelle verteilt. Das Baby muss mutig sein für das, was nun folgt. Ein Küken und eine junge Ente werden unter einem speziellen Hühnerkampfkorb zusammengeführt. Das Baby wird in ihre Mitte gelegt. Die beiden Vögel buhlen nun um die Reiskörner auf der Stirn des Babys. Um dem Ganzen eins draufzusetzen muss das Baby nach Gegenständen greifen, die rund herum platziert sind. Diese wurden zuvor gesegnet und sollen die zukünftige Bestimmung des Kindes voraussehen.
6. 3-Monats-Zeremonie
Nach 3 Monaten darf das Neugeborene zum ersten Mal den Erdboden berühren. Auch die Mutter muss solange mit dem Baby im Haus bleiben und darf es nicht auf den Boden absetzen. Wenn die 3 Monate Ausgangsfrist vorbei sind, dürfen Mutter und Kind wieder ins Freie.
Anstatt das Baby aus dem Haus ins Freie zu werfen, als Symbol der ersten Berührung mit der Umwelt, und ihm dadurch womöglich körperlichen Schaden zuzufügen, wird eine Eierpflanze genommen. Die Hindus glauben, dass böse Geister, die sich in der Nähe des Babys aufhalten, so „auf die Straße hinausgetrieben werden“. Sie folgen der Eierpflanze aus dem Heim des Babys heraus.
Das Baby bekommt erst nach 3 Monaten seinen Namen, da es mit dem Berühren des Erdbodens in die Welt der Menschen eingeführt wurde.
7. Odalan(Mundan)-Zeremonie
Nach 6 Monaten (210 Tagen) wird der Odalan abgehalten. Das ist der offizielle erste Geburtstag des Kindes. Alle 6 Monate wird diese Zeremonie seitdem wiederholt.
8. 3-Odalane-Zeremonie
Das Baby ist nun zwei balinesische Jahre alt.
Die ersten Haare des Kindes werden abgeschnitten und der ganze Kopf rasiert als Symbol der Reinheit. Das Haarbüschel wird ins Wasser geworfen, als Zeichen der Opferung. Die Kopfhaut wird mit Gangajal, heiligem Wasser, und Kurkuma, gelbem Ingwer, bestrichen. Die Paste soll das Baby vor Verletzungen im Alltag schützen.
Nach der letzten Baby-Zeremonie ist erst einmal Ruhe im Familienhaus. Später, wenn das Kind in die Pubertätsphase kommt, beginnen erneut die kultischen Vorbereitungen in der Hindu-Familie. Da die meisten Hindu-Familien mehrere Kinder haben, hält die Ruhephase nicht sehr lange an. Wenn es nicht die eigenen Kinder sind, zu deren Lebenszyklus-Zeremonien man eingeladen wird, dann sind es mit Sicherheit die Kinder von Verwandten, Freunden und der Nachbarschaft.